Drs C. und T. Vasters

Nachdem auch in der Polyclinic Next (Abb.1) das Engagement von Interplast in den letzten zwei Jahren in Kurzzeiteinsätzen von Teams bestanden hat, sollte jetzt untersucht werden, ob eine permanente (rekonstruktiv-traumatologische) Einrichtung im Norden Madagaskars effektiv sein könnte.

Die Polyclinic mit ihrer italienischen Leitung war von Interplast ausgewählt worden, weil das Niveau der (operativen)Einrichtung (Abb.2) über dem Niveau eines durchschnittlichen afrikanischen Krankenhaus liegen dürfte. Zur Prüfung der Frage einer permanenten Präsenz wurde mit der Polyclinic Next vertraglich vereinbart, dass Interplast für die Zeit von 6 Monaten das Defizit in der Bilanz der Klinik bis zu einer Höchstsumme von 10.000€ monatlich ausgleicht. Dafür sollten die Bedürftigen kostenfrei behandelt werden können, vermögenden und/oder versicherten Patienten sollte die Behandlung weiterhin durch die Klinik in Rechnung gestellt werden. In dem Betrag sollte auch die Kosten für Einsatzteams abgedeckt sein. Wie bisher für die Kurzeinsätze der plastisch-chirugischen Interplastteams wurde auch die orthopädisch-traumatologische Behandlung im Radio angekündigt; dabei wurde dabei anonnciert, dass die (auch operative) Behandlung aller orthopädischen Erkrankungen bis zum Alter von 15 Jahren und die Erstversorgung aller Verletzungen kostenfrei erfolgen würden.

In dem Zeiteitraum meiner Anwesenheit 17.4.-17.10.17 wurden von mir 82 operative Eingriffe (27 in Lokal- oder Leitungsanästhesie und 55 in Vollnarkose oder Spinalanästhesie) durchgeführt. Das Spektrum reichte dabei von der Bursektomie oder Schraubenentfernung bis zu Tibiakopfumstellungsosteotomien, Osteosynthesen von pertrochantären Oberschenkelfrakuren und Arthrodese im OSG. Bei leichtem Anstieg der Anzahl der Operationen von Juni (8) bis September (15) fand sich eine Verlagerung der Operationen von den kleineren Eingriffen (14-mal Lokalanästhesie im Mai, 3-mal im September) zu den größeren Eingriffen (15 Vollnarkosen oder Spinalanästhesien im Mai und Juni, ebenso viele im September allein). Bei 4-5 Patienten/Tag ergibt sich eine Zahl von rund 500 Patientenbegegnungen ohne operative Behandlung.

Entsprechend den hiesigen Verkehrsmöglichkeiten wurde ein tatsächliches Einzugsvolumen von 200.000 Einwohnern angenommen. Wenn man davon ausgehen muss, dass die Zahl der (operativen) Versorgungen bei orthopädischen und traumatologischen Patienten in den im Einzugsbereich liegenden anderen Krankenhäusern eher niedriger sind (praktisch keine Osteosynthesen!), ist eine Zahl von 82 operativen Eingriffen in 6 Monaten im Vergleich mit anderen Regionen in Afrika niedrig. Besuche im öffentlichen Krankenhaus und Gespräche mit den dort tätigen Ärzten ließen auch erkennen, dass dort die Zahl en der Patienten eher noch niedriger waren.

Auf der Suche nach einer Erklärung fanden sich verschiedene mögliche Gründe, deren tatsächliche Bedeutung nicht weiter einzuordnen ist:

a)Die Patienten wurden durch Rechnungen für Krankenhausaufenthalt, Labordiagnostik, Röntgenleistung und Medikamente von der kostenfreien Behandlung durch Interplast abgehalten. Auch nach mehrmaligen Interventionen konnte die Polyclinic nicht (oder nur sehr zögerlich) zu einem vollständigen Verzicht auf Zusatzeinnahmen bewegt werden. Zumindest sollte das Misstrauen in der Bevölkerung gegen die Ankündigung einer „kostenfreien“ Behandlung weiter Bestand haben.

b)Es besteht noch erhebliches Misstrauen gegenüber einer westlich orientierten Medizin, das von den traditionellen Heilern, aber auch durch die merkantile Ausrichtung und das niedrige Niveau von hier tätigen Vertretern unserer Schulmedizin gefördert wird.

c)Von einem anderen Verhältnis der Madegasssen gegenüber Krankheiten und ihrer Schicksalsergebenheit sollte ausgegangen werden.

Insgesamt ist als Ergebnis der 6-monatigen Tätigkeit festzuhalten, dass eine höhere Effektivität des Einsatzes von Interplast nur langfristig zu erreichen sein sollte: Das Vertrauen der Bevölkerung muss durch sicher kostenfreie und erfolgreiche Behandlungen erarbeitet werden. Gerade bei der Behandlung des Bewegungsapparates kann ein Therapieerfolg nur dann erzielt werden, wenn eine angemessene Rehabilitation die Funktionsaufnahme des Bewegungsapparates ermöglicht. Dieses Ziel kann nur durch längere Begleitung erreicht werden und ist mit Kurzeinsätzen nur selten zu verwirklichen.

Auch danach bleiben noch Probleme, die u.a. durch die geringe soziale Absicherung bestimmt sind.

Ein Beispiel dafür soll die Versorgung einer kontaminierten Defektwunde am Zeigefinger eines 35-jährigen Arbeiters (Abb.3a-d) darstellen: Nach Defektdeckung durch Thenarlappen und sicher kostenfreier Behandlung (Lokal- und Leitungsanästhesie durch Operateur, kein stationärer Aufenthalt, keine Verschreibung von Medikamenten) wurde ein besserer Therapieerfolg dadurch verhindert, dass der Patient einen längeren Ausfall am Arbeitsplatz zur Beseitigung des Streckdefizits nicht mehr ermöglichen konnte.

Vorteilhaft bei der Beurteilung des Behandlungserfolges sollte die in Madagaskar offensichtlich geringere Anspruchshaltung der Patienten bzw. der Angehörigen sein, für die eine 6-wöchige Extensionsbehandlung (mit selbst gebauter Extension, Abb. 4) bei einer lateralen Schenkelhalsfraktur (ohne Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes der 76-jährigen!) akzeptabel ist.- In dem Fall eines 82-jährigen mit einer pertrochantären Oberschenkelfraktur war die Vorstellung rund 2 Wochen nach dem Sturz und auch nur wegen einer Anurie und eines abdominalen „Tumors“ (ausgedehntes Hämatom nach frustranen Versuchen, einen Blasenkatheder zu legen!) erfolgt. Die Versorgung der Fraktur mit einer Platte für die distale Tibia (einziges erhältliches Osteosynthesematerial! Abb.5) ermöglichte mit einem suprapubischen Katheder eine schmerzfreie Pflege zu Hause und wurde als Behandlungserfolg angesehen.

Nachdem die Zahl der postopoerativen Infektionen nach abdominal-chirurgischen Eingriffen (durch ein italienisches Team) zur gleichen Zeit und im gleichen Op-Trakt auffällig hoch erschien (laut Op-Register 55 Revisionen nach ca. 50 Laparatomien!) und nach den orthopädisch-traumatologischen Eingriffen keine Revision wegen einer Infektion erforderlich war, ist die Vermutung naheliegend, dass die Art der Operation für die Infektionsrate eine größere Rolle spielt als die örtlichen hygienischen Gegebenheiten. Der Begriff des atraumatischen Vorgehens, der bei der Frage nach den Ursachen ins Spiel gebracht wird und bei einer Operation eigentlich nicht angebracht sein sollte, ist als Erklärung wegen seiner schwammigen Definition unzureichend; der primär vollständige Verschluß der Haut, der in beiden Gruppen den klarsten Unterschied bildete (grundsätzlich Rückstichnähte: Intracutannähte), bietet sich als entscheidendes Kriterium an, zumal die afrikanische Haut durch eine signifikant stärkere Subkutanfaszie im Vergleich mit der europäischen gekennzeichnet sein sollte. (Diese Überlegung soll nur den Anstoss zur Überprüfung durch andere Operateure geben..)

Trotz mangelnder Effektivität bzw. zu geringer Fallzahlen auch am Ende eines 6-monatigen Einsatzes bleibt der Eindruck, dass die Polyclinic Next einen Standort darstellt, an dem das Ziel einer effektiven Hilfe für die bedürftige Bevölkerung mit einer dauerhaften Einrichtung von Interplast verwirklicht werden kann. Es hat sich aber gezeigt, dass dazu entsprechende Veränderungen vor Ort erforderlich sind: eine Transplatation (unserer Vorstellung von medizinischer Hilfe) kann nur gelingen, wenn am Empfängerort ein entsprechendes „Bett“ geschaffen wurde.

Anmerkung des Sektionsleiters:

Der vergleichsweise geringe Zahl an Operationen durch das Ehepaar Vasters muss die Summer der Ops hinzugerechnet werden, die ein parallel operierendes italienisches allgemeinchirurgisches Team (ca 50) und ein weiteres Interplast-Team (Dr. Sattler) durchgeführt haben. Danach käme man auf eine Gesamtzahl von ca 160 OPs. Zu berücksichtigen ist auch, dass T.Vasters eine Menge konservativer Behandlungen durchgeführt hat, die in der Statistik nicht abgebildet sind.

Für die Zukunft werden zunächst weitere Einzel- Teams nach Diego fahren. Eine dauerhafte Beteiligung an dem Madagaskar-Projekt wird erst dann möglich sein, wenn neue Organisationsstrukturen geschaffen sein werden.

M.Schidelko